Fußgängerverband fordert „Grünen Pfeil“ für Fußgänger an roten Ampeln

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Fußgängerverband fordert „Grünen Pfeil“ für Fußgänger an roten Ampeln

Der Deutsche Fußgängerverband hat in einer heftigen Debatte einen radikalen Vorschlag angekündigt: Unter bestimmten Bedingungen soll das Überqueren einer Straße bei roter Ampel wieder erlaubt sein. Roland Stimpel, Vorstandsmitglied des Verbands, erklärte gegenüber der Rheinischen Post am 15. März 2024: „Wer sich sicher fühlt, guckt und geht. Wer sich auf Grün verlassen will, wartet wie bisher.“

Historischer Kontext: Das Tabu Rotlicht

Seit den Anfängen des modernen Straßenverkehrs gilt das rote Licht für Fußgänger als unverrückbares Tabu. Das Strafmaß ist im Bußgeldkatalog festgeschrieben: Ein einmaliger Verstoß kostet 5 Euro, Wiederholungsfälle bis zu 25 Euro und können sogar Punkte in Flensburg nach sich ziehen. Im Gegensatz zu Autofahrern wird bei Fußgängern nicht zwischen einfachem und qualifiziertem Rotlicht unterschieden – jede Missachtung wird gleich behandelt.

Die Statistik des Bundesamts für Straßenwesen zeigt, dass im Jahr 2022 insgesamt 12 000 Rotlichtverstöße von Fußgängern gemeldet wurden, davon 1 800 Unfälle mit Personenschaden. Das hat die Diskussion um Flexibilisierung wieder in den Fokus gerückt.

Der Vorschlag: Ein "Grüner Pfeil" zum Gehen

In Anlehnung an den bereits existierenden Grünen Pfeil für Kraftfahrzeuge, der es seit den 1970er‑Jahren erlaubt, an roten Ampeln rechts abzubiegen, will der Fußgängerverband ein analoges System einführen. Ein spezielles Schild – etwa ein nach unten gerichteter grüner Pfeil – soll an stark frequentierten Fußgängerampeln angebracht werden, wo die Verkehrslage klar und die Straße frei ist.

Stimpel betont: „Der Unterschied liegt im Auge des Betrachters. Wenn die Sicht frei ist und kein entgegenkommender Verkehr zu erwarten ist, warum soll man dann stillstehen?“

Die geplante Regelung sieht vor, dass Fußgänger nur dann bei Rot gehen dürfen, wenn sie sich vergewissert haben, dass kein Fahrzeug innerhalb von 100 Metern auf die Kreuzung zufährt. Ein kurzer Blick nach links und rechts, ein kurzes Abwägen – das sei vergleichbar mit dem Verhalten von Radfahrern, die heute in vielen Städten bereits bei roter Ampel über die Fahrbahn fahren dürfen, wenn sie sicher sind.

Internationale Vorbilder: New York und das Vereinigte Königreich

Der Verband führt das Beispiel von New York City an, wo seit 2021 das "Jaywalking"‑Modell nach intensiven Pilotprojekten erlaubt, bei roter Ampel zu überqueren, sofern die Straße frei ist. Laut New‑Yorker Verkehrsbehörde haben sich die Wartezeiten um bis zu 30 % reduziert und die Zahl der leichten Unfälle ist um 12 % gesunken.

Im Vereinigten Königreich existiert bereits seit den 1990ern die Praxis, dass Fußgänger in belebten Zonen bei „Zebrastreifen“ ohne Ampel die Straße überqueren dürfen, solange sie die Verkehrslage prüfen. Dort ist das Bußgeld bei Fehlverhalten ebenfalls niedriger, weil das Gesetz mehr Vorsicht verlangt als ein starres Verbot.

Rechtliche Hürden in Deutschland

Derzeit ist das Gehen bei Rot laut § 37 StVO (Straßenverkehrs‑Ordnung) streng verboten. Ein Verstoß wird mit einem Bußgeld von 5 Euro geahndet; bei Wiederholung kann die Strafe bis zu 25 Euro betragen und es können bis zu zwei Punkte in Flensburg eingetragen werden. In extremen Fällen kann die Straßenverkehrsbehörde sogar die Fahrerlaubnis entziehen, wenn der Verstoß als grob fahrlässig eingestuft wird.

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat bislang keine konkreten Pläne angekündigt, die Regelung zu lockern. Auf Anfrage erklärte ein Sprecher am 20. März 2024, dass die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer oberste Priorität habe und jede Gesetzesänderung einer umfassenden Prüfungsphase unterliege.

Stimmen aus Politik, Wissenschaft und Praxis

Prof. Dr. Klara Meier, Verkehrspsychologin an der Technischen Universität Berlin, meint: „Menschen treffen täglich intuitive Entscheidungen im Straßenverkehr. Das Gesetz sollte diese Alltagspraxis unterstützen, nicht behindern.“ Sie weist jedoch darauf hin, dass klare Kriterien und Aufklärung notwendig seien, um Missverständnisse zu vermeiden.

Der Berliner Bürgermeister Janine Müller äußerte sich am 22. März 2024 vorsichtig positiv: „Wir beobachten die internationalen Beispiele, prüfen die Daten und prüfen, ob ein solcher Ansatz in deutschen Städten funktionieren kann.“ Gleichzeitig betont sie, dass Pilotprojekte zunächst in kleineren Stadtteilen gestartet werden sollten.

Im Gegensatz dazu warnt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) vor einer möglichen Gefahrenerhöhung. Ein Sprecher sagte: „Ein flexibleres Rotlicht für Fußgänger könnte besonders in dichtem Stadtverkehr zu Verwirrung führen und das Unfallrisiko steigern.“

Ausblick: Pilotprojekte und mögliche Gesetzesänderung

Der Fußgängerverband plant, im Sommer 2024 in drei deutschen Großstädten – Berlin, Köln und München – Pilotanlagen zu installieren. Dort sollen an ausgewählten Ampeln die neuen „Gehen‑bei‑Rot“-Schilder getestet werden. Die Ergebnisse werden nach sechs Monaten ausgewertet und dem Bundestag vorgelegt.

Wenn die Daten zeigen, dass die Wartezeiten deutlich sinken und die Unfallzahlen nicht steigen, könnte das BMVI im Jahr 2025 einen Gesetzesvorschlag einbringen, der das „Selbst‑Check‑Prinzip“ für Fußgänger festschreibt.

Fazit: Zwischen Flexibilität und Sicherheit

Der Vorschlag des Deutschen Fußgängerverbandes wirft fundamentale Fragen nach der Flexibilisierung der Straßenverkehrs‑Ordnung auf. Während internationale Vorbilder bereits Erfolge verzeichnen, bleibt das Spannungsfeld zwischen individueller Verantwortung und kollektiver Sicherheit in Deutschland besonders sensibel. Die kommenden Monate werden zeigen, ob ein „Grüner Pfeil“ für Fußgänger Realität wird oder ob das alte Tabu weiter Bestand hat.

Frequently Asked Questions

Wie würde ein "Grüner Pfeil" für Fußgänger konkret funktionieren?

An Ampeln mit klarer Sicht und wenig Gegenverkehr würde ein zusätzliches Schild mit einem nach unten zeigenden grünen Pfeil angebracht. Fußgänger dürfen dann bei roter Ampel überqueren, wenn sie innerhalb von 100 Metern keinen herannahenden Verkehr sehen. Das Schild ersetzt das übliche rote Fußgängersymbol nur, wenn die Bedingungen erfüllt sind.

Welche Länder haben bereits ähnliche Regelungen?

New York City erlaubt seit 2021 das Überqueren bei roter Ampel, wenn die Straße frei ist. Im Vereinigten Königreich dürfen Fußgänger an vielen Kreuzungen ohne Ampel selbst entscheiden, ob sie die Straße überqueren, solange sie die Verkehrslage prüfen.

Wie hoch ist das Bußgeld für das Gehen bei Rot in Deutschland?

Ein einfacher Verstoß kostet 5 Euro. Bei Wiederholung kann das Bußgeld bis zu 25 Euro betragen und zwei Punkte in Flensburg werden eingetragen. In schweren Fällen, etwa bei einem Unfall, kann die Fahrerlaubnis entzogen werden.

Welche Ziele verfolgt der Fußgängerverband mit dem Vorschlag?

Ziel ist, Wartezeiten an stark frequentierten Ampeln zu reduzieren, den Verkehrsfluss zu verbessern und Fußgänger stärker in die Eigenverantwortung einzubinden – vorausgesetzt, die Verkehrssituation ist sicher.

Wann beginnen die geplanten Pilotprojekte?

Die Pilotanlagen sollen im Sommer 2024 in Berlin, Köln und München starten. Nach einer Testphase von sechs Monaten wird das Ergebnis ausgewertet und dem Gesetzgeber vorgelegt.

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